Advent mit Euphelia – 14. Tür
Eigentlich ist Euphelia, die zartgoldene Hausschreibfeder, die eine echte Eulenfeder ist, heute total müde. Sitzen auf dem Stammplatz und mit halbgeöffneter Feder dem Treiben im Wohnzimmer zuschauen, das reicht für ein tolles Programm. Die Tage zuvor waren voller Feiern und Reisen und aufgeregt genug. Doch eine Dame geht schon seit geraumer Zeit ziellos durch die Räume hier oben. Sie sucht etwas. Was mag es sein? Euphelia wird aus diesen Rundgängen nicht schlau.
Da meldet sich im Vorbeigehen ein winziges kleines Wesen, welches in der Hand der Dame ruht, zaghaft zu Wort. Euphelia spitzt das Federpuschelohr und hört dem Piepsen dieses kleinen Wesens genau zu.
„Hallo, Eulenfeder, Du hast es gemerkt, meine Frau Häkelin geht mit mir in der Hand nun schon seit vielen Minuten durch den Raum hin und her. Ihre Hand ist warm, das ist ein gutes Gefühl. Sie lächelt, das paßt dazu. Doch, was hat sie vor? Als ich noch bei ihr in Arbeit war, erzählte sie mir von einem Zoo, in dem ich mich später sehr wohlfühlen würde. Frau Häkelin sagte, dort leben Ratten, Mäuse, Katzen, Würmer, viele Eulen, süchtige Säufer und nimmersatte Fresser friedfertig beieinander und das unter einem Dach und auf engstem Raum. Ich wurde sehr neugierig, liebe Eulenfeder, das kannst Du glauben.
Heute morgen, als sich zu guter Letzt mein Schwanz ringelte und meine Nase mit einer Perle glänzte, bekam ich meine Kündigung. Frau Häkelin teilte mir mit einem letzten zärtlichen Knuddeln meines runden Bäuchleins mit, ich sei jetzt bei ihr nicht mehr in Arbeit. Also ist dies wohl unser letzter gemeinsamer Gang, nun wartet der Zoo auf mich.
Eulenfeder, wohnst Du auch hier im Zoo?
Mir ist bange. Ob ich mich mit den anderen Tieren vertragen werde? Ich bin so winzig und weich und kuschlig. Ich rechne es ja meiner Frau Häkelin hoch an, daß sie mich auf einen Einführungskurs begleitet und mir die anderen Mitbewohner vorstellen will.
Zuerst fallen mir die Schwärme von Eulen auf. Überall, wohin man schaut, blicken mich diese großen weisen Eulenaugen an. Was fressen Eulen eigentlich? Mäuse? Ohje, Frau Häkelin, laß mich tiefer in deine Hand rutschen. Komisch, diese Eulen hier halten sich alle an irgendwelchen Büchern fest. Ob sie die Bücher bewachen oder ist es umgekehrt?
Jetzt redet Frau Häkelin mit einem großen grauhaarigen Mann. Obwohl er ganz nett aussieht und auch sehr freundlich klingt, spricht er ständig von Ratten. Vorsicht, Frau Häkelin, der tut nur so herzlich. In den Geschichten meiner Vorfahren spielten Ratten keine so rühmliche Rolle.“
„Ach, du winzige Maus“, schaltet sich jetzt Euphelia ein, „Ratten können sehr schlau und belesen sein. Ich kenne ein wundervolles Buch, Du mußt es unbedingt lesen. Dann verstehst du auch die Ratten besser und lernst sie zu respektieren.“
Sam Savage
„Firmin – ein Rattenleben“
Danke, liebe Eulenfeder. Doch ich verstehe gerade meine Frau Häkelin besser. Hier in dieser Art von Zoo sind es zweibeinige Ratten. Sie heißen Leseratten, eine gelungene, meist friedfertige Mutation.
Sie leben hier in dieser Gemeinschaft zusammen mit den süchtigen Säufern, den bookoholikern. Tagsübr merkst du ihnen diese Krankheit meist nicht an. Aber laß sie ein Buch in die Finger bekommen, dann siehst du den typischen Glanz wie Fieber in den Augen und das leichte Zittern in den Händen. Dann gibt es hier noch die nimmersatten Fresser. Sie tauschen ständig Rezepte untereinander aus. Nimm dieses, nimm jenes. Das hast du noch nicht? Oh, das habe ich letzte Nacht verschlungen ohne Pause. Es sind scheinbar gefährliche Wesen, oft mit roten Augen am Morgen. Die Rezeptangaben entnehmen sie ihrem Geheimversteck, dem SUB (dem Stapel unter dem Bett).
Es gibt hier auch Katzen im Haus. Ich weiß, ich darf ihnen nicht zu nahe kommen, sie sind sehr gefährlich. Doch Frau Häkelin erklärt mir, diese hier leben von zu lesenden Seiten und von viel Schokolade und Keksen – sie heißen an diesem Ort Naschkatzen. Hochgewachsen, auf zwei Beinen, haben sie meist Brillen auf, die auf schwarze Schrift fokussiert sind, nicht auf eine kleine grüne kuschlige Maus mit Ringelschwanz.
Nun hat Frau Häkelin plötzlich ihren suchenden Rundgang beendet. Schade, ein wenig zu weit weg von der geduldig zuhörenden Eulenfeder. Frau Häkelin hat einen Stammplatz für mich gefunden. Hier ist zwar manchmal etwas Durchzug, aber es ist hier immer interessant. Ich bin sozusagen in der ersten prominenten Reihe, meint Frau Häkelin. Hier, so ist sie sich sicher, werde ich oft begrüßt, manchmal geknuddelt und die Hand auf der Tastatur übernimmt die Patenschaft über mich. Ich liege also auf einer Tastatur. Schon kommt Durchzug, eine Tür schlägt hinter eintretenden Gästen wieder zu. Die Frau, die zur Hand auf der Tastatur gehört, ruft einer Gästin zu: Oh, du Maus, wie schön, daß du wieder ein paar Tage hier sein wirst!
Aha, das sind also meinesgleichen.
Lesemäuse wie ich. Ich glaube, ich liebe diesen Zoo jetzt schon. Ein bißchen ist es hier, wie in einer anderen Welt. Danke, liebe Frau Häkelin, hier läßt es sich leben, hier bin ich Maus, hier darf ich‘s sein.“
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