Advent mit Euphelia – 15. Tür
Dritter Advent vorüber. Die Familie nach großer Feier abgereist. Heinz am Akkordeon wieder nach Stralsund zurück, der Student im Zug nach Heidelberg. Die Hotelgäste mit der eigenen nächsten Feier abgereist. Die Damen des dritten Advent abgereist.
Das Haus um Euphelia herum ist sehr ruhig. Es wurde aufgeräumt, die Kissen auf dem Sofa sind aufgeschüttelt. Euphelia hat große Lust auf einen Spaziergang an der Sonne, die heute noch einmal mit dem Wind um die Wette den Tag erobert. Wenn solche Tage vorüber sind, wenn die Torte aufgegessen, der Wein ausgetrunken ist, wenn die Familie beisammen war, was selten ist, wenn man sich mit den besten Vorsätzen für ein baldiges Wiedersehen getrennt hat, dann ist da etwas nahe am Herzen, so eine Wehmut, die schwer wiegt, die Tränen aufsteigen läßt. Euphelia muß raus. Aus ihrer tiefsten Federseele zieht es sie nach draußen.
Dann will sie aufgeräumt sein, also ihre Unordnung akzeptieren.
Dann will sie loslassen.
Dann will sie abgeben, dabei den Genuß der Liebe festhalten.
Dann will sie die Spuren ihres silbernen Stiefelchens zur Verfügung stellen, um Hilfe zu geben, wenn ein Federchen eine Richtung sucht.
Dann will sie das Rauschen im Federpuschelohr durch das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln ersetzen.
Dann will sie der Sehnsucht einfach folgen, braucht eine starke Brise, die sie auf dem Rücken der Möwe Jonathan über ihre eigenen Grenzen hinausträgt.
Dann will sie die Wolken kitzeln, bis sie Schneeflöckchen lachen.
Und plötzlich hat Euphelia Heimweh. Sie möchte einfach nur ganz schnell nach Hause, in ihr Wohnzimmer. Möchte in der Nähe der Lesemaus und nahe bei ihrem kleinen angekokelten Faust sich in die Kissen kuscheln und eines ihrer Lieblingsmärchen lesen. Euphelia weiß, sie wird weinen beim Lesen, doch das ist alles richtig heute. Wenn es um Liebe, um Zusammenhalt, wenn es um Leben und das Ende davon geht, wenn Hedvig eine Rolle spielt – dann darf man auch weinen. Euphelia wird heiße Schokolade trinken und den ganzen Rest des Tages ihr geliebtes Buch lesen.
„Die Schneeschwester“
Eine Weihnachtsgeschichte
von Maja Lunde
Und sie wird weinen beim Lesen. Doch das ist alles richtig heute. Wenn solche Tage vorüber sind. Wenn dritter Advent ist. Wenn man wundervolle Menschen einfach nur im Arm behalten möchte.
Das ist doch der Sinn vom dritten Advent, oder?
Plätzchen, heiße Schokolade, ein wundervolles Buch und Dankbarkeit für die Menschen, die einem nahe sind.
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