Euphelia ist ein großer Weihnachtsfan. Sie liebt die Deko, den Tannenduft und seit heute öffnet sich sogar noch jeden Tag eine Tür. Ganz unbedeutend begann vor einigen Tagen ein Gespräch über diese Adventstüren. Daraus wurde, keiner weiß mehr, wie es dazu kam, ein tiefgründiges Philosophieren über Türen. Ja, Euphelia, kichert vor sich hin. So weit ist es schon. Statt eben einfach nur ein Papptürchen zu öffnen und sich ein Stück Schokolade zu nehmen, philosophieren sie über Türen. Es ist noch kein Ende dieser Diskussion in Sicht. Dabei ist der Umgang mit Türen in unserem Alltag völlig selbstverständlich. Doch neben verschiedensten Türen in unserer Lebenswirklichkeit, die wir mit den Augen betrachten und bestaunen können, die unterschiedlich sind in Farbe, Material, Größe, Stabilität, gibt es so viele Erfahrungen und Empfindungen, emotionale Momente mit Türen. Gehen wir durch eine offene Tür einfach hindurch? Was verbirgt sich hinter einer geschlossenen Tür? Fallen wir mit der Tür ins Haus? Was passiert mit uns, während wir auf das Öffnen einer Tür warten? Wer Geheimnisse hat, bespricht diese hinter verschlossener Tür. Euphelia spürt immer mehr diese Neugier, Türen zu erkunden. So gern würde sie dieses Abenteuer mit Conny gemeinsam erleben. Doch diese hat heute ausnahmsweise mal keinen einzigen Schritt vor ihre Tür gesetzt. Sie hat geschlafen, Brot gebacken, keine Nachrichten gehört, nicht telefoniert, sie hat gestrickt, gehäkelt, aufgeräumt, gelesen und über Türen nachgedacht. Dabei ging ihr ein Text im Kopf umher, der so gar nichts mit Weihnachten zu tun hat. Aber kaum jemals hat Conny eine so ergreifende Beschreibung einer Tür gelesen, wie in „Die Hundeblume“ von Wolfgang Borchert.
„Die Tür ging hinter mir zu. Das hat man wohl öfter, dass eine Tür hinter einem zugemacht wird – auch dass sie abgeschlossen wird, kann man sich vorstellen. Haustüren zum Beispiel werden abgeschlossen, und man ist dann entweder drinnen oder draußen. Auch Haustüren haben etwas so Endgültiges, Abschließendes, Auslieferndes.
Und nun ist die Tür hinter mir zugeschoben, ja, geschoben, denn es ist eine unwahrscheinlich dicke Tür, die man nicht zuschlagen kann. Eine hässliche Tür mit der Nummer 432. Das ist das Besondere an dieser Tür, dass sie eine Nummer hat und mit Eisenblech beschlagen ist – das macht sie so stolz und unnahbar; denn sie lässt sich auf nichts ein, und die inbrünstigen Gebete rühren sie nicht.
Und nun hat man mich mit dem Wesen allein gelassen, nein, nicht nur allein gelassen, zusammen eingesperrt hat man mich mit diesem Wesen, vor dem ich am meisten Angst habe: Mit mir selbst.“
Achja, da ist ja auch noch sein Werk „Draußen vor der Tür“. Ein Blick in das schmale Gesamtwerk von Wolfgang Borchert lohnt sich mal wieder. Euphelia kann sich nun Connys Tag richtig gut vorstellen. Decke, Sessel, Tee, Wolle, viel Wolle, Bücher, viele Bücher, alles nahe um sie herum. Und schon ist sie nicht mehr vor der Tür ihrer literarischen Helden, sondern sofort mittendrin. Da beschleicht Euphelia eine wachsende Angst. Wie werden sie aus diesem Tunnel in den nächsten Tagen wieder heraus kommen? 23 Türen stehen bevor, und die erste, nämlich die aus der Wohnung heraus, wurde wegen literarischen Philosophierens gar nicht geöffnet. Egal, denkt, Euphelia, vielleicht werden ja genug Freunde der Hausschreibfeder sich über neue Empfehlungen freuen, dem Nachdenken über Türen folgen und sogar selbst eigene Türen in Schrift oder Bild beitragen. Dann wird es ein wahrhaftes gemeinsames Adventsabenteuer.
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