Euphelia hat es geahnt. Immer, wenn Conny sehr maritim wird, sieht es nach einem Plan aus. So, nun ist sie also schon ein Kahn. Sieben Monate waren wirklich lang, denkt Euphelia. Conny ist also ein Kahn. Zum Glück gießt es wie aus Eimern schon fast den ganzen Tag. Bestimmt wegen dieser Handbreit Wasser unter’m Kiel.
Für den Vollmond heute hat sich Conny jedenfalls etwas ganz Besonderes ausgedacht. Draußen wirklich viel zu naß, will sie dem Mond dennoch nahe sein beim Lesen. Das Atelierzimmer 223 soll ihr Ort heute sein. Mit einem Tee und ihren Büchern auf dem Tablett steigt sie empor. Zumindest diese paar Treppen, dem Mond entgegen, sozusagen. Der war heute um 13.48 Uhr komplett voll. Conny noch nicht. Wegen des Plans des Tees.
Ein wenig Bewegung tut Conny gut und auch das alte Gutshaus verspürt dies bereits in den letzten Tagen. Torsten geht von Zimmer zu Zimmer und bereitet vor. Euphelia kichert, denn sie erinnert sich an den Schuldirektor aus der „Feuerzangenbowle“. Die Mitarbeiter schauen immer wieder mal rein und nehmen langsam Fahrt auf. Am 14. Juni geht es los. Sie alle gemeinsam haben diese Entscheidung, trotz der neuesten Wendung in der Politik, heute so bekräftigt. Nun werden sie von oben nach unten putzen. Erst alle Zimmer und alle Flure im alten Gutshaus und nebenan im Bücherhaus. Euphelia ahnt, wieviel Arbeit noch darin versteckt ist. Doch früher konnten sie gar nicht beginnen. Das Landleben hätte sie doppelt putzen lassen. Spinnen, Fliegen und Blütenstaub lassen sich einfach nicht dressieren. Man kann nicht planvoll mit ihnen umgehen.
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Euphelia hofft sehr, daß Conny sie an den Aktionen der nächsten Tage teilhaben läßt. Wie startet man eine solche Maschine nach sieben Monaten Stillstand? Wie macht man den Kahn wieder flott? Oh, Conny ist ja laut Brecht der Kahn. Naja, denkt Euphelia, man darf also wirklich gespannt sein. Da ist ja dann einiges zu tun.
Kommen wir zurück zum Mond. Euphelia, Conny mit Büchern und Tee kommen oben an. Zunächst hören sie nur das romantische Rauschen des Regens auf den Dachfenstern. Doch Conny hat einen messerscharfen Rundumblick. Keine Lust mehr auf Mond, auf Tee, auf … Dies ist ein nasser Fleck in der Wand. Dies ist nicht Wasser für eine Handbreit unter dem Kiel, sondern harte Gischt gegen das Gleichgewicht. Nun kommt Torsten, prüft, nimmt zur Kenntnis und bereitet also da mal was vor. Nächste Woche kommen die Handwerker. Paßt doch alles, sagt er, ist ja noch vor dem Schlüsseltag. Euphelia bewundert ihn für seine Ruhe. Wo nimmt dieser Mann die Kraft her?
Und Conny? Steht da mit hängenden Schultern, Tränchen in den Augen, Euphelia und Bücher und Tee auf dem Tablett und ohne Lust auf den Mond. Steht einfach da mit diesem doofen Tablett, mit dem Blick auf den Fleck und rührt sich nicht. Euphelia hofft nur inständig, daß Conny nichts gegen diese Wand schmeißen möchte, denn das wäre ja dann wohl das Tablett. Doch da dreht Conny sich um, blafft den Spitzweg an, der ja eigentlich auch nichts dafür kann, und steigt die Treppen wieder hinunter. Sie gibt Torsten, der sie fragend anschaut, die Teetasse und stellt klar. “ Okay, gehe ich eben in den Keller.“ Torsten antwortet nur, daß der Mond schon längst voll war. Sie lächelt ihn zärtlich an: “ Ich noch nicht.“ und verschwindet mit ihren Büchern und Euphelia.
Nun endlich hat sie ihre Ruhe für ihre ganz eigene Vollmondlesung gefunden. Was liest sie gerade? Von Maxi wurde ihr Juli Zeh „Über Menschen“ empfohlen mit den Worten: Weißt du noch, was das ist? Lies mal! Conny ist sehr gespannt, Näheres über diese Wesen zu erfahren. Sieben Monate Groß Breesen können echt verwildern. Ja, und dann ist da noch dieses schmale Büchlein, welches ihr vor kurzem von einer Gästin geschickt wurde. Der Autor ist einer der bedeutenden Gastronomen Deutschlands. Irmin Burdekat “ Tisch 17 is’n Arsch“. Diese Gästin meinte am Telefon: „Solltest Du vergessen haben, Conny, was Deinen Alltag so ausmacht, kannst Du Dich hiermit vielleicht ganz gut vorbereiten.“ Zum Glück las Conny im Einband, daß es für Gäste und Gastwirte gleichermaßen ein fröhliches Buch ist. Nach den ersten 20 Seiten und einem Lachanfall nach dem anderen freut sie sich nun auf eine sehr, sehr lange Vollmondlesenacht. Euphelia schaut sich derweil im ersten Raum näher um, der bereits komplett fertig ist. Hier im „Wunderland“ sind alle Bücher wieder fertig alphabetisch sortiert, es wurde umgestellt und geräumt und eine tolle Treppe kam hinzu. Sollten die Betten nicht fertig sein, egal! Für dieses Wunderland im Keller des Bücherhauses lohnt sich der Besuch schon. Euphelia muß gleich nachlesen bei Moers, denn dies hier ist wohl die Vorlage für die Bibliothek des Orms im Buch „Die Stadt der träumenden Bücher“. Wäre zum Schluß nur noch die Frage nach Connys Glas. Nun, diese ist ganz eindeutig zu beantworten: Connys Glas bleibt heute Nacht und in den nächsten Wochen immer halb voll, nie halb leer! Zum Wohl! Auf den Vollmond im Keller und auf die Annäherung an den Schlüsseltag.
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