Euphelia hat sich so richtig satt gesoffen an der Bar. Bernsteinfarbe wurde erst mit viel Wasser ausgespült, dann mit blauem Gin und Tonic neutralisiert, bis Euphelia blau war, um anschließend ernüchternd festzustellen, daß tannengrün gerade Trend ist. Nun ist das Federbäuchlein dick und rund, kaum kann das kleine silberne Stiefelchen sie noch halten. Bei jedem Pups, ach nein Klecks duftet es nach Weihnachtswintertannenwald. Das soll ihr erst einmal jemand nachmachen. Aber egal, am wichtigsten ist für das Haus und für Euphelia – die Hausschreibfeder ist wieder im Dienst. Bei ihren Fragen am Tresen, was sie denn so verpaßt hat, wer denn da war, worüber gelacht worden ist, welche Ereignisse wichtig waren, mußte diese arme Feder feststellen, daß ihr Sommerurlaub ein nicht zu stopfendes Loch in die Chronik gerissen hat. Ganz offensichtlich sind die letzten Monate wie ein Kugelblitz an der Gutshotelfamilie vorbei gerast. Für besondere Erinnerungen braucht Euphelia Geduld und ein gutes Fragenkonzept. Später, denkt sie sich, denn zunächst muß die Exurlauberin das Hier und Jetzt erfassen. Als sie zwischen den Seiten ihres Freundes Faust in die Ferien verschwand, blühten die Rosen. Nun wird es bereits mitten am Tag dunkel, wobei alles nur eine Frage der Abstufung ist. Elegantes Grau ist die Farbe des ersten Advent. Doch wer mag schon nach draußen schauen, wenn es im Haus leuchtet und lacht und strahlt.
Sie haben es mal wieder geschafft, denkt sich Euphelia. Sie haben den Zauber von Weihnacht am ersten Advent in die Herzen ihrer Gäste gebracht. Die Räume erstrahlen im Kerzenschein. Es wurde gebastelt. Draußen im Park steckten sie gemeinsam Tannengrün in prächtige Vasen und Gefäße, wahrhaft unter vollem körperlichen Einsatz. Alte Buchseiten sind stolz darauf, gebraucht und bestaunt zu werden. Weihnachtsmusik erklang im strömenden Regen. Bratwurst vom Grill, Soljanka, Glühwein, Feuerschalen, Gelächter, Gespräche, warmes Licht von drinnen aus dem Gewölbe. Im Gutspark ein Gefühl von Weihnachtsmarkt, drinnen heimelige Vorweihnachtsstube.
Euphelia war so glücklich darüber, den heutigen Vormittag wieder auf ihrem Stammplatz Zwischen den Zeilen erleben zu dürfen. Jeder buchte sofort neu, man verabredete sich: Tschüß und bis zum nächsten ersten Advent. Die Gäste des ersten Advent – man kennt sich. Ja, denkt sich Euphelia, es ist etwas besonders in diesem Hotel. Nämlich, daß es kein Hotel, sondern eine große Gemeinschaft ist, in der jeder so sein kann, wie er ist, jeder seinen Platz findet, seine Ruhe oder seine Unterhaltung, sein Buch oder einen Lesekreis, liebevolle Gastgeber, die scheinbar nur ganz allein für ihn da sind.
Was auch immer sich verändern mag in Zeiten, die ohne Veränderung nicht gelebt werden können, dies soll so bleiben. Es muß Rituale geben, um die Sicherheit zu behalten, sich gelassen anlehnen zu können. Eines dieser Rituale ist das Bücherhotel. Es saniert, es erneuert mal eine Wandfarbe, aber es bleibt ein Haus der Herzen, der Zuwendung und der gelebten Gemeinsamkeit. Vielleicht müssen sie zwischenzeitlich schließen, überlegt Euphelia, aber dann nur, um mit dem bekannten Lachen wieder zu öffnen. Mal sehen, was kommt, doch sie werden aus den Zitronen eine schmackhafte Limonade zaubern und allen das Glas halbvoll einschenken, nie halbleer. Nun ist es heute abend ruhiger hier im Haus zwischen all den leuchtenden Kerzen. Der Gedanke an das Glas läßt Euphelia wieder an die Bar schweben – wegen des Duftes nach frischer Tanne – Ihr wißt schon. Zum Wohle Euch allen und beste Wünsche für einen zauberhaften ersten Adventsabend.
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